Mr. Phillips und seine fliegende Jalousie
Ein Engländer namens Horatio Frederic Phillips beschäftigte sich 1884 speziell mit einem speziellen Problem der Aerodynamik - den gewölbten Flügelflächen.
Während Aleksander Moshaisky und seine Vorgänger noch mit geraden Flügelflächen experimentierten und unendlich viele Versuche unternahmen, arbeitete der Engländer Horatio Frederic Phillips (1845 -1926) bereits 1884 an dem wichtigsten aeronautischen Problem in der Entwicklung des Flugapparatebaus.
Erste Versuche in einem Windkanal
Phillips bestätigte mit einer damals weltweit einmaligen Untersuchungsmethode die 90 Jahre alten Theorien des Engländers George Cayley und machte an jenem Punkt der theoretischen Luftfahrtentwicklung weiter an dem Francis Wenham aufhörte. Phillips baute einen kleinen Windkanal im Auftrage der Aeronautical Society of Great Britain und leitete einen Luftstrom mit Rauch über verschieden geformte Flächenprofile. Er fand heraus, dass der Rauch verschienartig an Ober– und Unterseite der Flächenprofile vorbeiströmte. Er machte unzählige Versuche mit unterschiedlich geformten Profilen und bewies letztendlich Cayley`s und Wenham`s Theorien durch seine praktischen Versuche.
Gewölbte Flächenprofile erzeugen mehr Auftrieb als gerade Flächen
Die wichtigste Erkenntnis aus seinen Versuchen war, dass der durch gewölbte Tragflächen- Profile erzeugte Auftrieb die Definition der alles bedeutenden Kraft bei der Bewegung eines Flugapparates ist. Phillips fand außerdem heraus, dass die umströmende Luft an der Unterseite eines gewölbten Profils je nach Größe der Wölbung einen Druck von unten nach oben (Überdruck) auf die Tragflächenunterseite erzeugte und somit die Fläche nach oben drückte. Gleichzeitig aber auf der Oberseite der Tragfläche an der stärksten Wölbung ein Unterdruck (Sog) entstand, der in der Lage war die gesamte Fläche nach oben zu ziehen. Hier wirkten also zwei Kräfte in die gleiche Richtung, und zwar nach oben, wobei der Unterdruck auf der Oberseite der Fläche den größeren Anteil der Auftriebkraft erzeugte. So wurde die Strömungstheorie von Daniel Bernoulli durch praktische Versuche bewiesen. Ebenso wie Wenham stellte Phillips fest, dass eine große Flügelstreckung sich günstiger auf das Verhältnis zwischen Auftrieb und Flächenwiderstand auswirkt und der Auftrieb an der Vorderkante des Flügels am stärksten ist.
Der erste echte Tragflügel
Phillips führte fast neun Jahre lang Tests mit verschiedenen Profilformen durch und ließ davon 8 Formen im Jahr 1884 mit der Bezeichnung: „Blades for Deflecting Air“ und der Nummer 13768 patentieren.
Im Rahmen seiner weiteren Experimente entstand ein noch effizienteres Flügelprofil, welches er sich im Jahr 1891 patentieren ließ.
Heute wird von vielen Luftfahrthistorikern dieses Profil als der „erste echte Tragflügel“ und für die damalige Zeit als „Spitzentechnologie“ bezeichnet. Die Ergebnisse der Tests wurden erstmalig in der Ausgabe Nr.40 vom 14.08.1885 im Journal Engineering veröffentlicht.
Ein Multiplane oder eine venezianische Jalousie auf Rädern
Um seine Kenntnisse in der Praxis auch zu beweisen, baute Phillips in der darauf folgenden Zeit eine Reihe von Versuchsapparaten, die aber keinerlei Ähnlichkeit mit einem Fluggerät hatten. Das war auch so beabsichtigt. Sehr stark beeinflusst durch die Theorien Wenham`s baute er 1893 seinen ersten sonderbar anzuschauenden Tragflächen -Testapparat. Er nannte es „Multiplane“ und es sah aus wie eine venezianische Jalousie auf Rädern. Das komplette Tragwerk war in einem Stabilisierungsrahmen eingefasst, hatte eine Breite von ca. 6,75 m und war ca. 2,90 m hoch. Das Tragwerk bestand aus 50 schmalen Tragflächen, welche 3,8 cm tief und mit einem Abstand von 51 mm übereinander, wie bei einer Jalousie, im Rahmen befestigt waren. Die Flügelfläche betrug insgesamt 12,60 m².
Der ganze Tragrahmen war auf eine Art Trailer montiert. Dieser dreieckige, bootsförmige Untersatz bewegte sich auf drei Rädern und war ca. 7,60 Meter lang. Tragwerk und Antriebsmaschine befanden sich auf dem hinteren stumpfen Ende des Fahrwerks. Der Antrieb bestand aus einer 5,6 PS leistenden Dampfmaschine, die dem zweiflügligen Propeller 400 Umdrehungen pro Minute verlieh. Der Durchmesser des Propellers betrug 1,83 m. Der gesamte Apparat wog 149,7 kg, wobei die Dampfmaschine allein schon über 90 kg schwer war.
Tests auf einer kreisrunden Holzbahn
Der Test wurde auf einer kreisrunden Holzbahn, ähnlich der bei den Versuchen von Tatin, mit einem Umfang von etwas mehr als 190 m durchgeführt. Das Gerät war an zwei Punkten mit einem Seil verbunden, deren Enden im Mittelpunkt des Kreises an einer drehbaren Halterung befestigt wurden. Das Vorderrad wurde so ausgerichtet, dass es stets die kreisrunde Spur halten konnte.
Beim ersten Versuchslauf wurde eine zusätzliche Last von 32,6 kg hinzugefügt, sodass die Gesamtmasse jetzt 182,3 kg betrug.
Ergänzend muss noch bemerkt werden, dass Phillips’ Versuchsgerät ein großes Modell war, das nicht zum Tragen einer Person konstruiert wurde. Wenn man das Modell betrachtet sieht auch der Laie, dass Phillips sich nur auf die Erprobung seiner gewölbten Flächen konzentrierte. Das Testgerät war noch lange kein Flugapparat, stellte aber ein weiteren wichtigen Schritt in der Erforschung der Aerodynamik und zum Bau eines Flugzeuges dar.
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